Ein Comeback, das mitreißt: Kämna begeistert 2022 die Radsport-Fans

Emotionen, Erfahrungen, Erfolge: So war das Bremer Sportjahr 2022

Bild: dpa | picture alliance / Roth

Keine Etappe gewonnen, das Rennen vorzeitig beendet – und doch sorgt Lennard Kämna bei der Tour de France 2022 für zwei der emotionalsten Momente aus deutscher Sicht.

Der damals 25-Jährige hat den Giro d’Italia schon in den Beinen, als er zur Tour anreist. Eine spontane Entscheidung, vorgesehen war sein Einsatz eigentlich nicht. Aber Kämna ist fit und hat Bock, da sagt sein Team Bora-hansgrohe nicht Nein. Als Helfer für Kapitän Aleksandr Vlasov reist er an, aber als tragischer Held reißt er die Fans mit.

Siebte Etappe, Bergankunft in den Vogesen. Die Planche des Belles Filles war 2012 das erste Mal Etappenort der Tour. Das Ziel, rund 100 Höhenmeter unterhalb des Gipfels an der Skistation. 2022 heißt das Ziel aber: La Super Planches des Belles Filles – denn genau diese letzten einhundert Höhenmeter müssen die Fahrer in diesem Jahr noch rauf. Eine Schotterrampe, an der steilsten Stelle mit 24 Prozent Steigung. "Drecksberg" nennt Kämna den Anstieg später.

Dem Sieg so nah

Der 25-Jährige kommt als erster Fahrer in diesen Abschnitt. Doch die Gruppe mit dem Gesamtführenden Tadej Pogacar und Verfolger Jonas Vingegaard kommt unerbittlich näher. Rund 90 Meter vor dem Ziel quält sich Kämna die Rampe rauf, bleibt gefühlt fast stehen und Pogacar und Vingegaard überholen ihn kurz vor Schluss. Dramatik pur. Der große Kampf des Norddeutschen bleibt ohne Erfolg. Er wird Vierter. Doch am "Drecksberg" kann er sich nichts vorwerfen, es ging einfach nicht schneller. Auch deshalb behält er diese Etappe in bester Erinnerung.

Ich nehme die positiven Eindrücke am letzten Anstieg mit. Das war eine Wahnsinns-Stimmung, man fährt als Erster hoch, jeder ist auf deiner Seite, versucht, dich da so schnell wie möglich hochzupushen. Das war für mich persönlich ein schönes Ereignis und ich denke hauptsächlich daran und weniger daran, dass ich da einen Etappensieg verpasst habe.

Radprofi Lennard Kämna sitzt im Sportblitz-Studio beim Interview.
Lennard Kämna

Mit dem zweiten Kämna-Drama dieser Tour hat er mehr Probleme. 10. Etappe von Morzine nach Megève. Keine spektakuläre Strecke, die Favoriten für das Gesamtklassement halten sich zurück. Kämna geht mit acht Minuten und 43 Sekunden Rückstand und als 21. der Gesamtwertung ins Rennen und da in eine größere Ausreißergruppe mit Fahrern, die im Tableau hinter ihm stehen. Er ist Favorit auf den Tagessieg, hat in Megève bei der Dauphiné-Rundfahrt schonmal triumphiert.

Der Abstand zum Gelben Trikot wird immer größer, mehr als neun Minuten beträgt er zwischenzeitlich und so fährt Lennard Kämna völlig unerwartet rund 20 Kilometer vor dem Ziel virtuell im gelben Trikot.

Plötzlich ist das gelbe Trikot ganz nah

Lennard Kämna auf der 10. Etappe der Tour de France
Um nur elf Sekunden verpasst Lennard Kämna auf der zehnten Etappe das gelbe Trikot des Gesamtführenden. Bild: dpa | Rot

Seit 2015 hat kein Deutscher mehr das "Maillot Jaune" anziehen dürfen. Erst elf deutsche Fahrer überhaupt haben das in der Geschichte der Tour geschafft. Kämna bietet sich eine historische Chance, die er selbst im Rennen, im Tunnel, gar nicht richtig realisiert. Lange hat er den Etappensieg im Kopf, die Infos über den Tourfunk kommen nicht richtig bei ihm an. Er quält sich in einem harten Finale, kommt als Zehnter ins Ziel – und dann beginnt das Zittern. Wann kommt der Führende Tadej Pogacar rein? Am Ende fehlen nur elf Sekunden zum Gelben Trikot. Einige Tage später muss Kämna dann wegen einer Erkältung die Tour aufgeben.

Noch heute sagt er: "Die Etappe tut ein bisschen mehr weh, weil ich weiß, dass nicht alles gut gelaufen ist, und ich mit Sicherheit eins, zwei Sachen hätte anders machen können. Ich denke manchmal auch: 'Oh man, das hätte ich schon gern gehabt.' Aber nichts desto trotz ärgere ich mich damit nicht zu sehr herum."

Erfolgreiches Jahr 2022

Lennard Kämna gewinnt die 4. Etappe beim Giro d
Erste große Rundfahrt nach seiner Auszeit und gleich ein Etappensieg: Kämna gewinnt den vierten Abschnitt des Giro d'Italia Bild: dpa | Massimo Paolone

Schließlich hatte Kämna im Jahr 2022 schon viel zu feiern. Etappensieg auf dem Ätna beim Giro d’Italia, wichtigster Helfer seines Kapitäns Jai Hindley, der den Giro gewinnt, Deutscher Meister im Zeitfahren und ein Tagessieg bei der Ruta del Sol in Spanien. Und das alles im Jahr Eins nach seiner Krise. 2021 pausiert Kämna monatelang, verliert die Lust am Radfahren. Auch deshalb erlebt er seinen persönlichen Höhepunkt in diesem Jahr abseits der Grand Tours.

Der emotionalste Moment war mit Sicherheit der erste Sieg dieses Jahr bei der Ruta del Sol. Das hat mir persönlich viel bedeutet und war auch ein Zeichen an mich selbst: 'Ok, es geht wieder, ich bin wieder zurück und bin immer noch in der Lage um Siege mitzukämpfen'

Radprofi Lennard Kämna sitzt im Sportblitz-Studio beim Interview.
Lennard Kämna

Was für ein Comeback für den 25-Jährigen. Das Jahr 2022 war ein gutes für Lennard Kämna. Das kommende Jahr wird sicher ein spannendes, denn der 26-Jährige will es nun selbst wissen. Er soll als Co-Kapitän beim Giro d’Italia erstmals auf das Gesamtklassement fahren. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Kämna den deutschen Fans wieder große Momente liefern kann.

Autorin

Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 28. Dezember 2022, 18:06 Uhr