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Warum sich der Streit über neue Windräder zuspitzt
Niedersachsen und der Bund drücken bei der Windenergie aufs Tempo. Im Bremer Umland muss insbesondere der Kreis Rotenburg viele Windräder aufstellen. Streit liegt in der Luft.
Zwei Prozent der gesamten Fläche Deutschlands müssen alle Bundesländer zusammen bis zum Jahr 2032 für Windenergie ausweisen. Da die Voraussetzungen für den Bau von Windkraftanlagen in den einzelnen Ländern jedoch unterschiedlich günstig sind, muss nicht jedes Land genau zwei Prozent seiner Flächen für Windenergie vorhalten, sondern die einen etwas mehr, die anderen etwas weniger.
Niedersachsen muss mit 2,2 Prozent überdurchschnittlich viel Fläche für Windkraft ausweisen, fast 48.000 Quadratkilometer insgesamt, mehr als jedes andere Bundesland. Doch nicht alle Landkreise sind davon gleichermaßen betroffen. So muss das Friesland nur 0,46 Prozent seiner Fläche der Windkraft zur Verfügung stellen, der Kreis Rotenburg dagegen 4,89 Prozent – mehr als alle anderen.
Das sorgt für Unmut in der Region. Landrat Marco Prietz (CDU) fürchtet, dass etwa das Landschaftsbild und der Artenschutz in seinem Landkreis von den Windrädern in Mitleidenschaft gezogen werden. Am Mittwoch, 1. März, befasste sich der Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt und Planung des Kreises Rotenburg in einer öffentlichen Sitzung mit dem Thema. Zu den Hintergründen:
Wer hat entschieden, wie viel Fläche welches Bundesland für Windenergie ausweisen muss?
Die Ampel-Koalition im Bund. Sie hat das "Wind-an-Land-Gesetz" beschlossen, das am 1. Februar dieses Jahres in Kraft getreten ist. Das Gesetz sieht vor, dass bundesweit bis zum Jahr 2027 1,4 Prozent aller Flächen für Windenergie ausgewiesen sein müssen und bis Ende 2032 zwei Prozent. Der Bund hat auch festgelegt und gesetzliche verankert, welches Bundesland wie viele Quadratkilometer Fläche bereitstellen muss, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Die entsprechenden Zahlen stehen in der ersten Anlage zum "Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land" vom 20. Juli 2022.
Hiernach müssen neben Niedersachsen auch Thüringen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Hessen und Brandenburg 2,2 Prozent ihrer Flächen für Windenergie ausweisen, Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und das Saarland dagegen nur 1,8 Prozent. Die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin müssen jeweils nur 0,5 Prozent ihrer Landesflächen für Windenergie vorhalten.
So viel Fläche müssen die Länder für Windkraft ausweisen
Nach welchen Kriterien legen der Bund und die Länder fest, welches Land und welcher Landkreis wie viele Quadratkilometer seiner Landesfläche für Windenergie ausweisen muss?
Der Bund und die Länder stützen sich auf die "Windflächenpotenzialstudie", die das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) zusammen mit der Bosch & Partner GmbH im Auftrag des Umweltministeriums erstellt hat. Die Autoren der Studie sind nach dem Ausschlussverfahren vorgegangen: Sie haben zunächst ermittelt, welche Flächen aufgrund theoretischer Überlegungen nicht für Windenergie infrage kommen. Dazu zählen beispielsweise bestehende Siedlungsgebiete, Verkehrsflächen und Infrastruktureinrichtungen.
Im zweiten Schritt haben die Wissenschaftler untersucht, welche Flächen wegen verschiedener Konflikte zusätzlich nicht für die Windkraft infrage komme. Dazu haben sie weitere Kriterien herangezogen, etwa militärische Belange, Natur- und Artenschutz oder auch Bauschutz. Auch Mindestabstände zu Wohnhäusern spielen dabei eine Rolle.
Für Niedersachsen kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass lediglich auf etwa 4,22 Prozent der Gesamtfläche des Lands der Bau von Windenergieanlagen "realisierbar" sei. Gut die Hälfte dieser Fläche müssen die Landkreise nun für Windenergie ausweisen, damit Niedersachsen auf die geforderten 2,2 Prozent kommt.
So viel Fläche muss Bremens Umland für Windkraft ausweisen
Wenn die Kriterien für das Ausweisen von Windenergie-Flächen so eindeutig sind – weshalb übt der Landkreis Rotenburg dann Kritik?
Landrat Marco Prietz kritisiert, dass die Landkreise monatelang auf verbindliche Vorgaben dazu hätten warten müssen, in welchem Umfang sie tatsächlich Flächen für die Windenergie rechtlich sichern sollen. Auch das Ergebnis sei durchaus überraschend: "Für unseren Landkreis haben wir im Kreishaus einen etwas höheren Wert in Richtung von 2,5 bis drei Prozent für möglich gehalten. Mit den nun vorgelegten fast fünf Prozent hat der Umweltminister alle Erwartungen weit übertroffen", so Prietz.
Damit werde sich die für Windenergie im Kreis bereitzustellende Fläche gegenüber der heutigen mehr als verfünffachen. Das wiege umso schwerer, als die Windräder mittlerweile deutlich größer seien als früher: "Die politischen Entscheidungen in Hannover werden das Erscheinungsbild unserer Landschaft nachhaltig verändern und prägen." Prietz bezweifelt in diesem Zusammenhang zudem, dass es Rotenburg angesichts des großen Flächenziels überhaupt möglich sein wird, an den geplanten Abständen zu Wohnhäusern festzuhalten. Zur Orientierung: Diese Abstände sollten der Studie zufolge im Falle einer Windkraftanlage mit 165 Metern Rotordurchmesser mindestens 800 Meter von Hauswand zur Rotorblattspitze betragen.
Apropos Studie: Christine Huchzermeier, Pressesprecherin des Landkreises Rotenburg, kritisiert am Vorgehen Niedersachsens auch, dass die Landkreise die vollständige Studie bislang gar nicht zu Gesicht bekommen hätten, auf deren Basis sie Flächen für Windkraft ausweisen sollen. Entsprechend wisse man auch nicht genau, wie das Flächenziel von 4,89 Prozent zustande gekommen sei.
Wie reagiert das Land Niedersachsen auf die Kritik aus Rotenburg?
Manfred Böhling, Sprecher des niedersächsischen Umweltministeriums, weist die Kritik zurück. Die Landkreise hätten GIS-Daten erhalten, mit deren Hilfe man mit hoher Genauigkeit erkennen könne, mit welcher Risikobewertung welche Fläche belegt sei. Auch hätten die Landkreise thematische Karten bekommen, aus denen hervorgehe, was zu welcher Risikobewertung geführt habe. "Darüber tauschen sich die Kommunen jetzt mit dem Ministerium und den Gutachtern aus", so Böhling. Dass es dabei noch zu Änderungen komme, sei denkbar.
Wie geht es weiter?
Wie Manfred Böhling mitteilt, möchte Niedersachsen bis Sommer dieses Jahres ein eigenes "Windenergie-Beschleunigungs-Gesetz" auf den Weg bringen. Das Gesetz soll rechtsverbindlich festlegen, welche konkreten Flächenanteile jede Region mindestens bis 2026 als Windenergiefläche ausweisen muss. Auch solle das Gesetz regeln, dass die Kommunen stärker vom Ausbau der Erneuerbaren Energien profitieren, etwa durch direkte Beteiligungen.
Niedersachsens Energieminister Christian Meyer (Grüne) teilt dazu mit: "Ziel der Landesregierung ist es, 30 Gigawatt (GW) Windenergie-Leistung an Land bis 2035 in Niedersachsen zu installieren. Das entspricht einem Zubau von rund 18 GW. Jährlich sollen dafür 1,5 GW an Leistung dazu kommen."
Bis Niedersachsens "Windenergie-Beschleunigungs-Gesetz" aber steht, werden die Landkreise ihre potenziellen Windenergie-Flächen prüfen. Zumindest für Landrat Marco Prietz aus Rotenburg ist noch "offen", ob das Windenergie-Ausbauziel Niedersachsens und des Bundes "in dieser Größenordnung erreichbar und verträglich" ist.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 4. März 2023, 19.30 Uhr