Neu im Auswandererhaus: Was Polen und Deutschland trennt und verbindet

Zwei Frauen stehen zwischen Schautafeln.
Bild: Radio Bremen | Heinrich Pfeiffer

Eine neue Schau im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven zeigt die komplexe polnisch-deutsche Beziehung: Geschichten und Schicksalen von 1871 bis heute.

Migration ist nicht nur in diesen Tagen Thema der politischen Welt, sie war immer Teil von Gesellschaften – rund um den Globus oder einfach ins Nachbarland. Das Auswandererhaus Bremerhaven schaut nun historisch auf deutsch-polnische Einwanderungsgeschichte. Unter dem Titel "Über die Grenze muss man nicht weit" werden Schicksale von 1871 bis heute dokumentiert.

Eine Frau steht mit ausgebreiteten Armen vor einer Schautafel.
Maria Bober ist eine Protagonistin von "Über die Grenze muss man nicht weit". Bild: Radio Bremen | Heinrich Pfeiffer

Maria Bober sieht zum ersten Mal das Ergebnis der Ausstellung. Sie steht vor einer Schautafel, auf der ihre Geschichte erzählt wird. Eines der Fotos zeigt sie kurz nach dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Krankenschwester, in Berufskleidung. Das Bild ist beige, die damals Jugendliche lächelt in die Kamera, trägt eine weiße Haube mit einem Streifen auf dem Kopf. Bober ist sichtlich gerührt. Sie zeigt auf ein weiteres Bild, darauf ihre Schwiegermutter mit ihrem Kind vor einem Feld.

Es ist idyllisch dort, aber für mich damals als junge Frau war es zu wenig. Ich war immer sehr lebhaft, ich wollte was erleben.

Maria Bober, polnische Spätaussiedlerin

Widersprüchliche Signale aus der Bundesrepublik

Zwei Frauen stehen zwischen mehreren Schautafeln.
Die neue Sonderschau ist zweisprachig auf deutsch und polnisch konzipiert. Bild: Radio Bremen | Heinrich Pfeiffer

Bober gehört zu den sogenannten polnischen Spätaussiedlern. 1991 folgt sie ihrer Familie nach Deutschland. So wie viele andere Spätaussiedler, empfängt auch Bober damals widersprüchliche Signale in der Bundesrepublik.

Einerseits haben Personen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten oder deren Nachfahren laut Grundgesetz Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Bobers Großmutter ist Deutsche, somit trifft dies für sie zu. Allerdings bekommt sie als Deutsche keinen Zugang zu Sprachkursen, wird ausgegrenzt und diskriminiert. 

Ich habe geackert, habe immer deutsches Fernsehen geguckt, habe immer was gelesen. Ich war hungrig, ich wollte mich zuerst wehren, dass ich das kann. Die Sprache muss ich lernen, wenn ich in so eine Situation komme, dass ich dann was sagen kann.

Maria Bober, polnische Spätaussiedlerin

In Polen hatte sie eine fünfjährige Ausbildung zur Krankenschwester mit Diplom absolviert, war gut qualifiziert. Doch das Anerkennungsjahr für ihren Beruf in Deutschland berücksichtigte nicht alle Qualifikationen. Das Diplom, was sie in Polen abgeschlossen hatte, spielte keine Rolle mehr.

Sie wird Krankenschwester am Klinikum Bremerhaven Reinkenheide und ist erstaunt, wie wenig sie nur noch machen darf. "Aber dann habe ich gedacht, ok es ist so wie es ist", berichtet Bober. "Ich habe mich angepasst und irgendwann gesagt: Dann habe ich nicht so viel Verantwortung, das ist auch gesund. Das war vielleicht für mich auch einfacher."

Zweiter Weltkrieg zentrales Ausstellungsthema

Eine Frau steht vor mehreren Schautafeln.
Marie Grünter hat die Ausstellung fürs Auswandererhaus kuratiert. Bild: Radio Bremen | Heinrich Pfeiffer

Bobers Geschichte steht neben anderen Biografien. Auf Schautafeln erzählen sie von unterschiedlichen Schicksalen. Hinzu kommen Gegenstände von den jeweiligen Zeitzeugen, beispielsweise die Anerkennungsurkunde von Maria Bober. Zusammengestellt hat sie Kuratorin Marie Grünter vom Auswandererhaus.

Man kann die polnische Geschichte nicht ohne die deutsche und die deutsche nicht ohne die polnische erzählen. Allein durch diese Grenzverschiebungen und die Kontakte von Menschen durch Migration, aber auch durch die großen politischen Ereignisse.

Marie Grünter, Kuratorin

Doch die Ausstellung beleuchtet nicht nur die 1990er Jahre. Auch Erzählungen über den zweiten Weltkrieg spielen eine zentrale Rolle. Etwa von Polen der dritten Nachkriegsgeneration, Enkel von damals nach Deutschland Verschleppten.

Kuratorin Grünter spielt auf Orte wie den Bunker Valentin in Bremen-Farge an. Den bauten Zwangsarbeiter aus vielen Ländern, unter anderem auch aus Polen. "Damit vielleicht auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich mal bewusstmacht, was das bedeutet", so Grünter.

Ausstellung soll Denkanstöße liefern

Was bedeutet das für Polen, die heute in Deutschland leben, wie blicken Besucherinnen und Besucher auf Migration? Die Schau soll nicht nur die damalige Situation zeigen, sondern eigene Denkanstöße liefern, sagt Kuratorin Grünter.

Wenn jetzt in 50 Jahren jemand etwas über meine Zeit sagt, was möchte ich denn, was meine Rolle da gewesen ist? Und so möchten wir dann auch versöhnlich aus der Ausstellung herausgehen.

Marie Grünter, Kuratorin

Die Sonderausstellung "Über die Grenze muss man nicht weit" ist vom 12. Oktober bis zum 5. Januar im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven zu sehen.

Jugendliche aus Polen und Deutschland musizieren in Bremen

Bild: Radio Bremen

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Autor

  • Heinrich Pfeiffer

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 11. Oktober 2024, 17:20 Uhr