Kommentar

"Willst du Kinder?": Wer die Frage stellen darf – und wer nicht

Warum wünschen sich Bremerinnen und Bremer Kinder?

Bild: Radio Bremen

Spätestens mit Mitte Dreißig müssen sich Frauen mit dieser Frage auseinandersetzen: Willst du Kinder? Aber warum eigentlich? Eine persönliche Analyse unserer Autorin Julia Köhn.

Ich lehne mich sicherlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass jedem gebärfähigen Menschen über 25 mindestens einmal die Frage nach dem Kinderwunsch gestellt wird. Eine leidige Frage – die jedoch immer wieder wie ein Smalltalk-Thema abgehandelt wird.

Der Chef, der so einen Satz wie "Du willst ja sicherlich auch irgendwann mal Kinder" ganz nebenbei fallen lässt, die Tante auf der Familienfeier, die fragt, wann es denn bei ihr oder ihm "so weit" ist oder die Freundinnen, die einen geradezu überreden wollen zum Familienglück – diesem sinnstiftenden Element, das ihr oder ihm doch ganz sicher noch fehlt.

Studie widerlegt Geschlechterklischees

Warum gehören Kinder in unserer Gesellschaft zum unumstößlichen Lebenskonzept? Eine Antwort auf die Frage hat Sonja Drobnic parat. Sie ist Professorin für Soziologie an der Universität Bremen.

Die Leute haben das Bedürfnis nach emotionaler Bindung, das kann man in Eltern-Kind-Beziehung ausleben. Und es gibt das Bedürfnis danach, etwas in der Welt zu hinterlassen.

Sonja Drobnic, Professorin für Soziologie an der Universität Bremen

Ein Bedürfnis, das entgegen gängiger Geschlechterklischees häufiger Männer als Frauen verspüren. Das fand das Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels in einer aktuellen Studie heraus.

Demnach sind sich 61,7 Prozent der männlichen Befragten sicher, Nachwuchs haben zu wollen. Bei den Frauen liegt der Anteil bei 57,7 Prozent. Und noch einen Unterschied gibt es bei der K-Frage zwischen diesen zwei befragten Geschlechtern: Mehr Frauen gaben an, sicher kein Kind haben zu wollen, nämlich 35,7 Prozent. Männer sind unschlüssiger – kategorisch gegen ein Kind sprechen sich nur 28,9 Prozent aus.

So sicher sind sich Männer und Frauen in ihrem Kinderwunsch

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Frauen sind bei der Frage nach Nachwuchs also entschiedener – sowohl dafür als auch dagegen. Vielleicht weil sie sich häufiger mit ihr auseinandersetzen müssen?

Frauen verspüren häufiger sozialen Druck bei der K-Frage

Auch die Bremer Soziologin Sonja Drobnic berichtet aus ihren Forschungen, dass Frauen häufig angaben, sozialen Druck bei der Entscheidung für oder gegen Nachwuchs zu verspüren: In den Studien erzählen die Befragten, dass sich ihre Eltern häufig danach erkundigen, wann sie denn Enkelkinder bekommen. Auch im Freundeskreis gibt es so eine normative Erwartungshaltung.

Über die Gründe für diese Erwartungshaltung lässt sich, ohne den Einzelfall zu kennen, nur spekulieren. Ganz gewiss sind wir alle aber geprägt durch unsere Sozialisierung. Die ist zwar individuell, aber von der eigenen Familiengründung ist bei den meisten von uns schon im Kindesalter die Rede gewesen. Wer kennt schließlich keine Sätze wie "Bis du heiratest, ist alles wieder gut" oder "Warte nur ab, bis du selbst Kinder hast".

Deutschland wird immer älter

Vielleicht hat auch die sich ändernde Bevölkerungsentwicklung damit zu tun. Denn Deutschland wird älter: Immer weniger Menschen entscheiden sich dafür, Nachwuchs zu bekommen. Seit bereits mehr als 50 Jahren sterben mehr Deutsche, als nachkommen.

Deutschlands natürliche Bevölkerungsentwicklung

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2020 gab es mehr als eine Million Todesfälle – und nur rund 770.000 Neugeborene. Langfristig wird die alternde Bevölkerung das deutsche Sozialsystem unter Druck setzen. Es wäre also durchaus im Interesse der Gesellschaft, für Nachwuchs zu sorgen – wenn nötig auch durch beständiges Nachfragen.

Darf man jetzt gar nicht mehr fragen, ob jemand einen Kinderwunsch hat?

Doch, darf man. Wenn die Frage wertfrei gestellt wird. Wenn ernsthaftes Interesse an der Antwort besteht. Wenn man die Person besser kennt. Wenn die Person signalisiert, dass das Thema für sie okay ist. Und vor allem wenn dieses Thema nicht einfach nur aufkommt, um über irgendwas zu reden, zu dem man einfach nur selbst was loswerden will. Das schließt für mich schon mal den Großteil aller Menschen aus.

Also: Fragen Sie es nur, wenn Sie wirklich sicher sind, dass das Thema gerade angebracht ist. Damit verhindern Sie es, in mindestens ein Fettnäpfchen zu treten oder Ihr Gegenüber zu verletzen. Denn nicht alle Menschen sind freiwillig kinderlos. Aber das ist ein anderes Thema.

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Autorin

  • Julia Köhn
    Julia Köhn Moderatorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 3. August 2023, 19:30 Uhr