Interview
Unabhängigkeit der Justiz: "Erschreckend, wie schnell so was geht"
Karin Goldmann geht als Präsidentin des Landgerichts nach 16 Jahren in den Ruhestand. Um die Unabhängigkeit der Justiz macht sie sich Sorgen.
16 Jahre stand Karin Goldmann an der Spitze des Bremer Landgerichts. Sie steuerte das Gericht durch die Corona-Pandemie. Vor allem aber kämpfte die Präsidentin des Landgerichts mit der fast schon chronischen Überlastung der Justiz durch Personalmangel und steigende Fallzahlen.
Bevor ihr Nachfolger Stefan Jacobs, bisher Abteilungsleiter im Justizressort, das Amt am 1. März übernimmt, hat die erste Frau an der Spitze des Landgerichts mit buten un binnen über ihre Arbeit und den Zustand der Justiz insgesamt gesprochen.
Sie haben zum Interview einen kleinen bemalten Holzstab mitgebracht. Was hat es damit auf sich?
Ich habe als Richterin immer viel gearbeitet. Meine Tochter hat mich, als sie klein war, vielleicht auch ein bisschen weniger gesehen, als andere Kinder ihre Mütter gesehen haben. Dann hat sie mir im Kindergarten einen kleinen Zauberstab gebastelt. Und dazu hat sie gesagt: Mama, den schenk' ich dir, dann kannst du die Akten wegzaubern.
Und hat es funktioniert?
(Lacht) Nicht wirklich. Aber es hat Freude gemacht.
Akten weggezaubert hätten Sie als Präsidentin wohl auch gerne mal. Die Überlastung der Justiz war ein großes Thema in Ihrer Amtszeit.
Wir hatten tatsächlich eine sehr schwierige Lage in den Jahren ab 2015, als die Eingänge alle stark gestiegen sind, die Bestände stark gestiegen sind, das Personal aber erstmal auf dem Stand geblieben war. Da sind wir auf gut Deutsch abgesoffen. Das kann man gar nicht anders formulieren.
Um in diesem Bild zu bleiben: Haben Sie heute wieder trockene Füße?
Wir haben trockenere Füße, auf jeden Fall.
Wie ist das gelungen?
Wir haben an allen Landgerichten das gleiche Problem. Es gibt Verfahren, die sind sehr, sehr komplex und umfangreich. Die Kammern schaffen diese Verfahren aber nicht, weil sie Haftsachen vorrangig bearbeiten müssen. Und so bleiben diese Verfahren liegen. Wir haben nun etwas, worum uns viele Landgerichte beneiden: Sogenannte Altfälle-Kammern, in die wir Jahr für Jahr die älteren Verfahren, die die anderen nicht schaffen konnten, reinfließen lassen. Diese Kammern haben dann tatsächlich viele Altverfahren bewältigt. So konnten wir unseren Bestand auf den Stand von 2010 zurückdrücken. Das ist ein super Erfolg. Damit kann man jetzt sehr gut arbeiten.
Wie haben Sie das geschafft? Und wie viel Hartnäckigkeit gegenüber der Politik haben Sie dafür gebraucht?
Das war wirklich nicht leicht. Natürlich gehört Hartnäckigkeit dazu. Und immer wieder argumentieren, immer wieder versuchen, die Verantwortlichen dafür zu gewinnen, sich diesen Argumenten zu öffnen. Wir haben uns mit Niedersachsen verglichen. Wir haben uns mit dem Landgericht Hamburg und dem Landgericht Kiel, also mit anderen Großstadtgerichten, ausgetauscht und haben auf diese Art und Weise eine breitere Argumentationsbasis gefunden, die Gott sei Dank dann auch mal überzeugt hat.
Sie waren die erste Frau an der Spitze des Landgerichts: Wie hat sich das ausgewirkt?
Ich bin als Präsidentin davon ausgegangen, dass Richterinnen die gleiche Arbeit genauso gut tun können wie Richter. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die hat sich hier aber ausgewirkt. Im Strafrecht sind wir das erste Gericht, das eine Große Strafkammer in Teilzeit gegründet hat – mit einer Teilzeit-Vorsitzenden und zwei Teilzeit-Richterinnen. Als ich das im Kreis der Landgerichtspräsidenten mal erzählt habe, da habe ich Stirnrunzeln erfahren nach dem Motto: Oh Frau Goldmann, wie soll das denn klappen? Und sind die hinreichend flexibel? Und was machen Sie mit den großen Haftsachen? Und was ist, wenn jemand schwanger wird? Und dann platzt das Verfahren… Das kann man alles organisieren und Vorsorgemaßnahmen treffen. Das hat alles wunderbar geklappt.
Sie waren auch viele Jahre Vorsitzende des Bremer Richterbundes. Wie schauen Sie mit dieser Perspektive auf die Justiz?
Wir haben mit dem Richterbund viele Reisen gemacht. Die erste Reise ging nach Istanbul, in die Türkei, wo damals die Justiz sehr unter Beschuss war. Wir waren in Ungarn und haben gesehen, was dort mit der Justiz passiert ist. In Polen haben wir gesehen, wie leicht es einer autokratischen Regierung gefallen ist, eine unabhängige Justiz tatsächlich zu schwächen und an dieser Stelle Personen reinzusetzen, die man besser glaubte, manipulieren zu können. Das war erschreckend, wie schnell so etwas geht. Wenn man das in anderen Ländern sieht, dann fragt man sich: Wie sind wir eigentlich so aufgestellt?
Und wie sind wir aufgestellt?
Auch wir haben offene Fenster. Eine unabhängige Justiz ist die tragende Säule im Rechtsstaat. Wenn es die nicht mehr gibt, keine letzte Instanz mehr gibt, die sich allein und ausschließlich nach dem Gesetz richtet, dann weiß ich nicht, wo wir landen in unserer Gesellschaft. Ich bin deshalb sehr froh, dass jetzt die ersten Versuche unternommen werden, beim Bundesverfassungsgericht Sicherungsmechanismen einzubauen. Auch, dass Justizminister in Deutschland gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Weisungsrecht haben, wird zunehmend in Frage gestellt.
Würden Sie das ändern?
Ich hielte es für richtig, das zu ändern. Je nach politischer Zusammensetzung eines Parlaments haben wir vielleicht ja auch mal Justizminister, die aus Bereichen kommen, die vielleicht unserem rechtsstaatlichen Prinzip nicht ganz so verbunden sind, wie wir uns das wünschen. Die hätten grundsätzlich die Möglichkeit, der Staatsanwaltschaft Weisungen zu erteilen. Die könnten unterbinden, dass Verfahren tatsächlich betrieben werden oder könnten bestimmen wollen, welche Verfahren zu beenden sind. Und das finde ich äußerst erschreckend.
Nun verabschieden Sie sich in den Ruhestand. Was kann unsere Gesellschaft denn von der Justiz lernen?
Wir glauben, dass wir der Gesellschaft eigentlich auch eine Menge geben können. Wir haben hier eine Gesprächskultur, die ich manchmal in der Debattenkultur und der politischen Kultur auch vermisse. Wir hören zu, wir gehen respektvoll miteinander um. Wir lassen andere Meinungen erst mal gelten, wir lassen verschiedene Meinungen gelten. Wir argumentieren sachlich, wir versuchen auch tatsächlich, bis zum Schluss in einem konstruktiven Dialog zu kommen. Und das vermisse ich manchmal im allgemeinen Diskurs.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. Februar 2024, 19:30 Uhr