Fragen & Antworten
Bremer Juden kritisieren: Strategie gegen Judenhass ist zu kompliziert
Antisemitismus ist in Deutschland weit verbreitet. Daher hat der Bund eine Strategie dagegen entwickelt. Doch die sei kaum praxistauglich, sagt die Jüdische Gemeinde Bremen.
Es war die von Osten vorrückende Rote Armee, die am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreite. Die Rote Armee waren die Streitkräfte der Sowjetunion. Zuvor hatten die Nazis dort Schätzungen zufolge bis zu 1,5 Millionen Menschen umgebracht. Der Name "Auschwitz" wurde zum Symbol des Holocaust, des fabrikmäßigen Mordes an den Juden in Europa. Seit 1996 ist der 27. Januar daher der "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" in Deutschland.
Und doch ist die Zahl der antisemitischen Straftaten bundesweit in den letzten rund zwanzig Jahren deutlich gestiegen: von etwa 1.600 in 2001 auf über 3.000 in 2021. Um die Lage in den Griff zu bekommen, hat der Bund daher im November eine gut 50-seitige "Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS)" vorgestellt. Darin heißt es: "Die NASAS ist ein Instrument zur Umsetzung eines ganzheitlichen, politikfeld-, ressort- und ebenenübergreifenden Ansatzes der Antisemitismusbekämpfung."
Kritik: Strategie ist nicht konkret und kaum zu verstehen
Die Jüdische Gemeinde im Land Bremen bezweifelt allerdings, dass diese Strategie im Kampf gegen Judenhass weiterhelfen wird. Hinter dem Papier stecke zwar ein guter Wille. Doch die Strategie sei nicht konkret genug und für einfache Menschen kaum zu verstehen, kritisiert Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremen. Zu den Hintergründen:
Welches Ziel verfolgt der Bund mit der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS) und wo setzt die Strategie an?
Das Ziel der Strategie besteht darin, Juden besser vor Verfolgung und Hass zu schützen und zugleich das jüdische Leben in Deutschland zu stärken. Hierzu setzt die Strategie insbesondere auf Forschung zum Antisemitismus und auf eine gute geschichtliche und kulturelle Bildung der Bevölkerung. Der Bund möchte so viele Akteure wie möglich mit ins Boot holen: von der Polizei über die Justiz bis hin zu Schulen, Universitäten, Sportvereinen und diversen weiteren gesellschaftlichen Gruppierungen.
Konkret setzt sich die Bundesstrategie im Wesentlichen aus fünf "zentralen Handlungsfeldern" und drei "Querschnittsdimensionen" zusammen. Grob gesagt definieren die Handlungsfelder, was inhaltlich geschehen soll. Die Querschnittsdimensionen beschreiben, auf welche Weise die Handlungsfelder am besten bearbeitet werden sollten. Detaillierter erklären wir die Begriffe in einer Infobox am Ende des Artikels.
Wie beurteilt die Jüdische Gemeinde im Lande Bremen die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS)?
Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen, sagt, die Strategie sei zwar "mit gutem Willen in gutem Behördendeutsch" verfasst worden. Allerdings stehe dort wenig Konkretes. Stattdessen sei das Papier mit unsinnigen Formulierungen überfrachtet, die einfache Menschen gar nicht verstehen könnten.
Dieses Papier wird kaum dabei helfen, den Antisemitismus zu beseitigen.
Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen
Diesem Ziel könne man sich letztlich nur über Schulungen und Öffentlichkeitsarbeit nähern, glaubt Noa. Wichtig dabei sei, dass sich die betreffenden Schulungen nicht nur mit der Vergangenheit befassten, sondern auch mit dem gegenwärtigen jüdischen Leben in Deutschland.
Was macht das Land Bremen, um Antisemitismus entgegenzuwirken?
Im Land Bremen gibt es seit Juli 2022 eine "Handreichung zum Umgang mit Antisemitismus an Schulen". Darin erfahren Lehrerinnen und Lehrer nicht nur, worin sich Antisemitismus zeigt. Sie bekommen auch Tipps, wie sie mit antisemitischen Äußerungen umgehen können und wie sie im Unterricht über jüdisches Leben informieren können. "Sehr gut", lobt Elvira Noa aus der Jüdischen Gemeinde diese Handreichung. Darüber hinaus lobt Noa, dass die Bremische Bürgerschaft und der Bremische Senat seit 2019 ein "Forum zur Förderung jüdischen Lebens im Land Bremen" aufgebaut haben, das zweimal jährlich tagt.
Trotz dieser Lichtblicke übt Noa auch Kritik an Bremens Umgang mit Antisemitismus: "Es fehlt in der Politik, in der Bildungsarbeit an Verpflichtungen, Fortbildungen zu machen nicht nur zum Antisemitismus, sondern auch zu jüdischem Leben." Solche verpflichtenden Fortbildungen müsste es in vielen dienstlichen Behörden geben, etwa auch in den Sozialämtern oder bei der Polizei. Derzeit gebe es derartige Fortbildungen nur auf freiwilliger Basis im Land Bremen. Das reiche nicht aus, sagt Noa.
Antisemitische Straftaten im Land Bremen
Die Zahl der polizeilich erfassten antisemitischen Straftaten im Land Bremen ist in den vergangenen Jahren stark geschwankt: von vier im Jahr 2019 bis 46 im darauf folgenden Jahr. Wie Polizei-Sprecherin Kerstin Fischer mitteilt, ist die hohe Zahl von 46 antisemitischen Straftaten im Jahr 2020 in erster Linie auf eine Serie von Pulver-Briefen und Droh-Emails zurückzuführen.
Für das Jahr 2022 liegen der Polizei noch keine validen Zahlen vor. Wie Fischer mitteilt, werden sich die Zahlen der antisemitischen Straftaten für 2022 im Land Bremen aber etwa auf dem Niveau von 2021 bewegen. 2021 registrierte die Polizei Bremen 34 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund. Konkret handele es sich bei den antisemitischen Straftaten der letzten Jahre im Land Bremen beispielsweise um Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Verleumdungen, Gewaltandrohungen und Volksverhetzung, so Fischer weiter.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. Januar 2023, 19.30 Uhr