Grundrechte in Gefahr – rechtswidrige Durchsuchungen bei Bremer Medien
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- Aus der Serie & dem Podcast: Mord Nordwest – Der True-Crime-Podcast von buten un binnen
- Veröffentlicht am: 2. März 2023
Wegen eines vertraulichen Dokuments lässt die Staatsanwaltschaft Bremer Redaktionen durchsuchen – und löst damit bundesweit einen Sturm der Entrüstung aus.
Der Rechtsbruch passiert am Morgen des 20. August 1996. Und daran beteiligt sind rund vierzig Polizisten sowie mehrere Staatsanwälte. Bewaffnet mit Durchsuchungsbeschlüssen fallen die fehlgeleiteten Gesetzeshüter zeitgleich in die Bremer Redaktionen von "Weser Kurier", "Weser Report", TAZ und Radio Bremen Fernsehen ein. Außerdem in die Privatwohnungen von drei Mitarbeitern der betroffenen Zeitungen. Auch bei Susanne Brahms von Radio Bremen soll durchsucht werden. Aber da haben die ungebetenen Möchtegern-Besucher die falsche Adresse.
Die Aktion stößt bundesweit auf heftige Reaktionen und Proteste: bei Journalistenverbänden, Zeitungsverlegern, Juristenvereinigungen, beim Deutschen Presserat, bei Leuten quer durch alle Parteien und natürlich in Presse, Hörfunk und Fernsehen. Der Tenor ist überall gleich: Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, ein Tabubruch.
Staatsanwaltschaft und Polizei – die Polizisten sind allerdings eher widerwillig dabei – suchen nach einem vertraulichen Prüfbericht des Bremer Landesrechnungshofs. Darin steht, dass der ehemalige Staatsrat der Bildungsbehörde bei der Finanzierung von Schulneubauten anscheinend gegen Haushaltsrecht verstoßen und dabei eine Finanzlücke von 15 Millionen Mark verursacht habe. Das ist besonders brisant, weil der Ex-Staatsrat mittlerweile quasi der oberste Bremer Beamte ist: rechte Hand von Bürgermeister und Landesregierungschef Henning Scherf (SPD).
Informanten sollten entlarvt werden
In diversen Medien ist über den Bericht berichtet worden. Nicht nur in denen, wo jetzt durchsucht wird. Auch in überregionalen Zeitungen, der Frankfurter Rundschau zum Beispiel. Aber durchsucht wird eben nur in den vier Bremer Redaktionen. Es sind allerdings nicht irgendwelche Journalisten unter Verdacht, eine Straftat gegangen zu haben. Es geht vielmehr darum, denjenigen zu entlarven, der den Bericht an Journalisten weitergegeben und sich damit möglicherweise des Verrats eines Dienstgeheimnisses schuldig gemacht hat. Die Staatsanwaltschaft hofft, bei den Durchsuchungen Kopien des Berichts beschlagnahmen und daraus Hinweise auf den Verräter gewinnen zu können. Tatsächlich werden beim "Weser Report" und bei Radio Bremen Berichtskopien gefunden, und tatsächlich gibt sich die Staatsanwaltschaft danach überzeugt: Das Leck klafft im Finanzressort.
Ermittlungen waren unerwünscht
Um da aber weiter ermitteln zu dürfen und damit den Straftäter vielleicht zu entlarven, braucht sie die Zustimmung – offiziell heißt das "Ermächtigung" – des Behördenleiters. Das ist Finanzsenator Ulrich Nölle, und der erteilt die Ermächtigung nicht. Damit ist die Ermittlung gestorben. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren sofort ein. Die beschlagnahmten Berichtskopien werden zügigst per Boten an Weser Report und Radio Bremen zurückexpediert.
Aber die Sache ist damit nicht erledigt. Radio Bremen, der "Weser Kurier" und der Zeitungskollege Axel Schuller haben da schon Beschwerde gegen die Durchsuchungen eingelegt – erstmal beim Amtsgericht. Darüber hat derselbe Richter entschieden, der vorher die Durchsuchungsbeschlüsse ausgestellt hatte. Der hat die Beschwerde zurückgewiesen. Daraufhin ist die Sache weiter zum Landgericht gegangen. Das entscheidet: Wir haben zwar ganz erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungen, aber: Die Sache ist jetzt - so heißt das auf Juristendeutsch – "prozessual überholt". Also: Die Durchsuchungen sind vorbei, Verfahren ist eingestellt, beschlagnahmte Kopien zurückgegeben, die Beschwerde damit gegenstandslos. Als ob nichts gewesen wäre.
Am Ende mussten die Gerichte einlenken
Das wollen Radio Bremen und die anderen Kläger aber nicht hinnehmen. Und legen Verfassungsbeschwerde ein gegen die Entscheidung des Landgerichts und gegen die Amtsgerichtsbeschlüsse in Sachen Durchsuchungen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im März 1998: Bei so einem heftigen Eingriff in die Grundrechte dürfen die Beschwerden nicht einfach so abgebügelt werden. Das Bremer Landgericht muss darüber neu verhandeln und entscheidet fast genau drei Jahre, nachdem Staatsanwälte und Polizisten in Bremer Redaktionen eingefallen sind: Die Durchsuchungen waren rechtswidrig.